An der Shih-Chien University gibt’s für alle Austauschstudenten einen wöchentlichen Chinesisch-Unterricht. Für die Business-Studenten ist der Pflicht, für alle anderen freiwillig. Die Kursbescheibung im Semesterprogramm deckt sich in etwa mit dem, was ich im Chinesisch-Kurs in den ersten drei Tagen gelernt habe. Es gibt zwar auch ein begleitendes Kulturprogramm, aber auch das habe ich zu im Mai bereits zu großen Teilen mit Studenten absolviert. Außerdem findet der Chinesischkurs Donnerstags statt und das ist der einzige Tag in der Woche, an dem ich keine Industriedesign-Veranstaltungen habe. Nun kann man sich ungefähr vorstellen, welche Lust ich auf den Kurs hatte.
Heute war die erste Stunde. Ich lass mich ja gerne positiv überraschen, also bin ich da auch hingegangen. Ausserdem ist das hier an der Hochschule wohl so, dass man sich in der ersten Woche die Kurse alle ansehen kann und sich erst danach verbindlich einschreibt. Es war also alles unverbindlich und ich hatte nichts zu verlieren.
Nun gut. Der Unterricht ging dann erstmal ohne die Professorin los. Ihre Assistentin hat dann angefangen, ein paar chinesische Wörter an die Tafel zu schreiben und sie vorzulesen. Ihr Englisch war ziemlich miserabel. Als erstes schrieb sie „Nǐ hǎo“ (Chinesisch für „Hallo“) und den Namen der Professorin an. Wir müssen diese ja angemessen begrüßen können, wenn sie denn kommt.
Die kam dann auch auch eine viertel Stunde verspätet zu Tür rein und hat danach ein ziemliches absurdes Theater aufgeführt. Das war bisher immer so, dass wenn ich irgendwas Chinesisches gesagt habe, die Taiwanesen sich geradezu diebisch darüber gefreut haben. Das finde ich okay und mitunter schmeichelt es mir auch. Ich bringe denen dann was Deutsches bei und freue mich auch, wenn die das lernen. In der Stunde hat die Professorin uns immer wieder einfache chinesische Phrasen im Chor aufsagen lassen. Dach kam immer der selbe breitspurige Auftritt. Sie schwärmte, dass sie ganz genau gehört habe, dass wir alle eine perfekte ausprache haben. Offenbar seien wir Naturtalente. So ein affektiertes Auftreten mag ich überhaupt nicht, vor allem nicht, wenn es von vermeidlich gestanden Persönlichkeiten vor einem Publikum kommt.
„Hallo“ – „Auf Wiedersehen“ – „Danke“ – „Bitte“ – „Mein Name ist …“ – „Ich komme aus …“
Das war der Stoff für heute. Ich saß ziemlich gelangweilt im Unterricht. Die Langeweile ist mein Problem, es hat ja niemand von mir gefordert chinesisch zu lernen.
Im zweiten Teil mussten wir alle nach vorne und und vorstellen. „Hello, I’m Daniel from Germany.“ Die Professorin hat mir dann einen chinesischen Namen gegeben. bei hat sie drei Silben meines Vornamens genommen und die Chinesisch ausgesprochen: „Da-Ni-R“. Das macht zwar phonetisch Sinn, funktioniert als Name aber nicht. Chinesische Vornamen – bzw. vielmehr Rufnamen, denn der Familienname wird zuerst genannt – bestehen aus zwei Silben. Im Chinesisch-Kurs in Deutschland hatte ich bereits einen „echten“ chinesischen Namen bekommen, den ich der Lehrerin mitgeteilt habe: „Zàng Dān-Lǐ“. Das hat sie nicht gekümmert. Ich hab der guten Frau dann auf Chinesisch erklärt, dass ich bereits ein wenig Chinesisch kann („Wǒ huì yīdiǎndiǎn Zhōngwén“). Darauf hin hat sie kurz theatralisch gejubelt, aber dann auch ganz schnell wieder in ihrem Programm weiter gemacht.
Ich sollte dann noch erzählen, was mein erster Eindruck von Taiwan ist. „It is all different.“ Das habe ich so auch ziemlich ernst gemeint. Immerhin wird hier eine Sprache gesprochen, die mit unser nichts gemein hat, es ist alles viel kleiner und bunter, das Klima ist unglaublich heiß und schwül und die Menschen glauben an Geister. Das ist kein Vorwurf, nur meine Wahrnehmung. Womöglich ist das auch falsch, aber um das ggf. festzustellen bin ich ja auch fast ein Jahr hier. Ich habe keine Probleme damit, mich Unterschieden und meiner eigenen Fehlwahrnehmung zu stellen, sonst wäre ich kein Designer. Die Professorin hat mich das aber gar nicht erst erzählen lassen, sondern mein „It is all different“ schnell auf „Oh! Culture shock!“ verkürzt. Dann war auch schon der nächste dran.
Wenn die Professorin mir nun also einen Kulturschock unterstellt, frage ich frage mich, ob sie den denn auch mit den reinen Oberflächlichkeiten, die sie im Unterricht praktiziert, aus dem Weg räumen will!? Wenn ja, dann wäre Taiwan zum Schluss nur noch albern und kitschig. Das es das nicht ist, habe ich in einigen erstgemeinten Gesprächen festgestellt, die ich mit Studenten geführt habe.
„Zum Schluss sollten wir die Phrasen aus der Stunde mit einigen taiwanesischen Studenten lernen. Das habe ich mir dann gesparrt und bin stattdessen ins International Office gegangen, um zu erklären, dass ich den Chinesisch-Kurs nicht belegen werde.
Wenn man bei Youtube nach „Shih-Chien University“ sucht, findet sich unter den ersten Treffern ein Video aus Chinesisch-Kurs. Wenn man sich das ansieht, kommt das ganz lustig daher. Mein Problem ist, das die Professorin das aber genau so und vollkommen ernst meint.

Die ganzen förmlichen Begrüssungsfrasen sollten übrigens auf den Abend vorbereiten, da fand nämlich das offizielle Welcome Dinner für die Austauschstudenten statt. Es war ein kleines Drama, das der Präsident der Hochschule verhindert war und nur der Vizepräsident kommen konnte. Ich fand des Weniger schlimm. Prof. Kuan kommt nämlich aus dem Industriedesign-Department und so hatten wir ganz vorher schon miteinander zu tun. Am zweiten Tag haben wir uns zufällig im Bücherladen getroffen und ganz locker ernsthaften Smalltalk gehalten. Auf jeden Fall hatte der überhaupt keine Lust auf die ganzen Förmlichkeiten beim Dinner und war auch ganz froh, als er mich ganz normal begrüßen konnte.